Interview mit der Ausnahmeläuferin Ingrid Tippelt
„Laufen war meine Passion“
In den Teilen 1 und 2 unserer kleinen Chronik zum 70-jährigen Jubiläum haben wir Rudi Gutjahr und Dirk Marsen interviewt. Beide sind dem SC Wörthsee schon sehr lange verbunden, der eine seit 1957 als Fußballer, der andere seit 1967 als Universal-Sportler, Funktionär und Schriftführer.
Dieses Mal habe ich die Ausnahmeathletin Ingrid Tippelt zu ihrem 85. Geburtstag besucht und mit ihr über ihr Läufer-Leben gesprochen.
Ingrid Tippelt trat am 1.9.1977 dem SC Wörthsee bei und nahm gleich am Konditionstraining und der Skigymnastik von Werner Kastiunig teil. Sie legte auch viele Sportabzeichen (bayrische und deutsche) ab und lernte dafür mit Hilfe von Dirk Marsen und Werner sogar das Kugelstoßen. Sie nahm auch an den diversen Lauftreffs teil und verstärkte seit 1985 das Damenteam beim Landkreislauf. Das Laufen sollte zu ihrer (späten) Leidenschaft werden.
Ingrid kam 1935 in Meiningen (Thüringen) als Zweitgeborene von 6 Geschwistern (3 Buben und 3 Mädchen) zur Welt. Der Vater war sehr streng und nicht sehr beliebt bei ihr. „Du mit Deiner Rumhüpferei“ sagte er. Sie habe zuhause nichts gegolten, erinnert sie sich. Der Vater war überzeugter Nazi und die Familie zog bald in die Nähe von München-Pullach in die „Hess-Siedlung“. „Wir waren die Bonzen-Kinder. Göring, Hess und Goebels waren unsere Nachbarn“. Mit den Nazis wollte Ingrid nie etwas zu tun haben und die Mutter sorgte dafür, dass es für „uns Kinder nicht schlimmer“ wurde.
Die negativen Aussagen ihres Vaters wurmten sie. Sie wollte es allen zeigen und begann mit dem Laufen. Das machte sie teilweise heimlich am Abend. Auch die Wege zur Schule und zur Arbeit nutzte sie später als Trainingsstrecke. „Da bin ich je eine halbe Stunde zum Bahnhof gelaufen.“ Zur Schule ging sie gern und sie war eine gute Schülerin. „Einmal kam ich mit 6 Einsern nach Hause, aber die versprochene Belohnung vom Vater blieb aus.“ Nach der Schule lernte sie in der Modebranche in München. „80 Pfennig gab’s damals.“
Beim SC Wörthsee hat sie sofort an den Lauftruppen teilgenommen. Aber mit dem Marathonlaufen begann sie erst im Alter von 55 Jahren. Ingrid war Autodidaktin. Sie hat sich viele Bücher über das Marathon-Laufen besorgt und sich selbst beigebracht wie man richtig läuft.
Ingrids erster Marathon war in München. Werner Kastunig war auch dabei und freute sich, denn sie gewann diesen Marathon. Es sollten viele weitere Siege folgen.
Besonders in Erinnerung blieben ihr die beiden Marathons in Kuba. „Die Leute waren sehr arm, aber sehr nett.“ Sie konnte sich in französisch mit ihnen unterhalten und hat dort und auf anderen Reisen gerne Kleidung und ihre Schuhe gespendet, denn die Leute waren sehr arm. Danach habe sie sich sehr gut gefühlt. In Kuba lernte sie auch Alberto Juantorena (genannt „El Caballo“ (das Pferd)) kennen, von dem sie heute noch ganz begeistert erzählt. Sie gewann damals den Marathon in ihrer Altersklasse und Alberto den Marathon bei den Herren. Juantorena ist übrigens der einzige Läufer, der bei Olympischen Spielen die 400 und 800 Meter-Distanz gewann (1976 in Montreal). Er wurde später kubanischer Sportminister und hängt heute in der IAAF Hall of Fame.
Dazu hat es bei Ingrid nicht mehr gereicht, aber Ingrid Tippelt dürfte die momentan erfolgreichste Sportlerin in Wörthsee sein. Sie gewann in ihrer Altersklasse:
- 1991 den DB-Marathon-Cup (Wertung der Marathons von Leipzig, Frankfurt und München) mit mehr als einer Stunde Vorsprung vor der Zweitplatzierten
- 1995 bei den Leichtathletik Weltmeisterschaften in Buffallo eine Gold-, zwei Silber- und eine Bronzemedaille (3:49:14 Std.)
- 1996 bei den Leichtathletik Europameisterschaften in Malmö eine Silber-Medaille
- 1999 bei den Weltmeisterschaften in Gateshead (England) Gold in der Klasse W65 (3:58:31 Std.)
- 9 von 10 Marathons auf der Chinesischen Mauer
Darüber hinaus lief und gewann Ingrid unzählige Marathons in Deutschland und der ganzen Welt: in München, Frankfurt, Hongkong, Dubai, New York, Lanzarote, 4x Wüsten-Marathons…Sie machte auch einen 5 Tage Ultra-Trail über 177 km von der Karibik zum Pazifik in Costa Rica und diverse Bergläufe in Zwiesel (2000) und im Allgäu (2001) und vieles mehr.
Zwischendurch war sie mit ihrem Mann Otto 5 Jahre lang in Frankreich. Sie hatten ihr Segelboot dabei und segelten um Korsika herum und im Mittelmeer. Otto hat sie in Pullach kennengelernt. Er begleitete sie stets auf ihren Laufreisen und war ihr einziger Betreuer. Wenn möglich, versorgte er sie auf den Marathon-Strecken neben ihr radelnd mit Wasser und Nahrung.
Auf meine Frage, warum sie erst mit Ende 50 angefangen hat Marathon zu laufen und sagte Ingrid: „Was die anderen machen, das wollte ich nicht. Es sollte etwas Besonderes sein. Ich wollte sportlich etwas bringen und immer gut aussehen.“ Sie wollte Erfolg haben und dafür trainierte sie sehr viel.
Einen ganzen Sack voller Urkunden und Medaillen hat sie im Laufe ihrer „späten“ Läuferkarriere gesammelt und davon einen Teil schon weggeschmissen. Aber es hängen immer noch viele Medaillen von den Weltmeisterschaften und anderen Großereignissen in ihrem Haus.
Ingrid’s Füße waren zum Laufen eigentlich nicht geeignet und sie schmerzten öfters sehr. Ein Arzt in Wörthsee hat ihr wegen ihrer schlechten Füße sogar vom Laufen abgeraten. Ingrid jammerte zwar, lief aber aus Leidenschaft immer weiter. Sie ist auch viel im Wald gelaufen und hat sich dabei ab und zu auch mal verirrt.
Ingrid hat alle ihre Sport-Reisen selbst finanziert. Der SC Wörthsee unterstützte sie gerne bei den Anmeldungen und trat dem DLV (Deutscher Leichtathletikverband) bei, damit sie starten konnte.
Der Name „SC Wörthsee“ wurde dank Ingrid durch die weite Welt getragen bzw. gelaufen. „Mehr war nicht drin“, sagte mir unser langjähriger Schriftführer Dirk Marsen, denn der SCW war und ist ein Breitensport-Club und kein auf Spitzensport ausgerichteter Verein.
Nachdem ihr Mann Otto vor 7 Jahren gestorben war, geht Ingrid mit ihrem Lebensgefährten auch heute noch täglich 5-10 km sparzieren und versorgt ihren Haushalt selbst. Sie hat weder Auto noch Fahrrad und macht alles zu Fuß.
Ingrid ist immer noch superfit! „Ich mache jeden Morgen zuhause Sport und gehe einmal in der Woche zum Seniorenturnen beim SCW“, sagt sie. Sie geht in ihrem Haus auch noch sehr locker die steile Treppe vom Dachboden herunter, was ich sehr eindrucksvoll fand. Ingrid trinkt sehr viel Wasser und ernährt sich „ganz normal“.
„Sie haben viel erlebt und vieles geleistet“, schreibt der Bayrische Ministerpräsident Dr. Markus Söder in seinem Glückwunschschreiben anlässlich ihres 85. Geburtstag, das auf ihrem Küchentisch liegt. „Darauf dürfen Sie stolz und zufrieden zurückblicken“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich danke Ingrid Tippelt herzlich für den „kleinen Ausflug in ihre und die Geschichte des SC Wörthsee‘s“. Das Interview habe ich am 24. Juli 2019 bei ihr zuhause geführt.
Alles Gute und weiterhin viel Gesundheit, liebe Ingrid!
Weitere Geschichten zur Geschichte des SC Wörthsee folgen in den nächsten Ausgaben unserer Vereinsnachrichten.